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Die Sackpfeife in Deutschland, Teil 1

Dieser Artikel ist von mir geschrieben worden, um einen Überblick über die im deutschsprachigen Raum üblichen oder üblich gewesenen Sackpfeifen zu geben. Als "deutschsprachig" möchte ich hier den Raum des historischen "Teutschlands" sehen, wie ihn Michael Praetorius zu seiner Zeit verstanden hat: einschließlich der Niederlande, die bis 1648 dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation angehörte, und Böhmen.

Der Artikel ist sicherlich weit von der Vollständigkeit entfernt; zu groß ist die Fülle der Abbildungen und Beschreibungen von Sackpfeifen in historischen Dokumenten, zu groß die Chance der Fehlinterpretation. Ich hege keinen Anspruch auf wissenschaftliche Korrektheit. Vermutlich ist dieser Text voller Widersprüche, Fehlinterpretationen und Ungenauigkeiten. Ich bin halt kein Instrumentenkundler und habe in meinem Beruf nichts mit Musik zu tun. Seht diesen Artikel daher bitte als den Versuch eines Amateurmusikers, einen historischen Überblick über sein Lieblingsinstrument zu gewinnen. Ansprechen möchte ich hier alle anderen Liebhaber dieser Instrumentengruppe - Leute, die wie ich verzaubert sind von der Seele eines Instruments, das die meisten Deutschen in ihrem Heimatland längst tot glauben. Erreichen möchte ich, daß vielleicht der eine oder andere Interessierte mir ein Echo zukommen läßt - ich freue mich über jede Anregung oder Kritik.

Wer sich eingehender über Sackpfeifen informieren möchte, sei auf meine am Ende stehenden Quellen verwiesen.


Erste Belege für Sackpfeifen finden sich in Europa bei Aristophanes (griechischer Komödiendichter, 445 - 385 v. Chr.), Dio Chrysostomus (auch griechische Antike, um 100 n. Chr.), Marcus Valerius Martialis (röm. Dichter, 40 - 100 n. Chr.) und Gaius Suetonius Tronquillus (römische Schriftsteller, 70 - 130 n. Chr.). Letztgenannter hat in seinen Biographien der römischen Kaiser ("De vita caesarum") über den dudelsackspielenden Kaiser Nero berichtet. Ebenso schrieb Dio Chrysostomus über einen zeitgenössischen Herrscher, möglicherweise ebenfalls Kaiser Nero, der eine Pfeife ("aulein") sowohl mit dem Mund als auch mit dem Sack unter der Achselhöhle spielen konnte (siehe rechts abgebildeter Text). Chrysostomus und Martialis erwähnten weiterhin die askaules, was nichts anderes als "Sackpfeifer" bedeutet [8]. Über die Art der beschriebenen Sackpfeifen ist leider nichts bekannt, lediglich ihr Klang wird beschrieben (von Aristophanes) als "wespenartig" [2].

Der früheste mittelalterliche Beleg für Sackpfeifen stammt aus dem 9. Jahrhundert, dem sog. "Hieronymus-Brief" an Dardanus:

"chorus quoque simplex pellis cum duabus cicutis aereis: et per primam inspiratur per secundam vocem emittit"

Ich verstehe leider kein Latein, aber Stephan der Pfeiffer war so nett, mir den Text zu übersetzen:

"ein Instrument mit einem einfachen Balg und zwei Luftröhren; und durch das erste [Rohr] wird er aufgeblasen, durch das zweite kommt die Stimme heraus."

Das Instrument bestand demnach aus Sack, Blasrohr und Melodiepfeife. Ob es auch mit einer Bordunpfeife versehen waren, geht aus dem Text nicht hervor. Auch ist bisher nicht nachgewiesen worden, ob die mittelalterliche Sackpfeife eine Entwicklung des antiken Instruments ist. Ziemlich unwahrscheinlich ist ein Zusammenhang zwischen der mittelalterlichen europäischen Sackpfeife und der arabischen Sackpfeife, die erst im 11. Jhd. durch arabische Schriftsteller erwähnt wird und vermutlich direkt aus der europäischen Antike übernommen wurde. Vermutlich geriet die antike Sackpfeife in Europa im Laufe des ersten Jahrtausends n.Chr. in Vergessenheit und wurde im Mittelalter "wiedererfunden". Entsprechend primitiv mögen die ersten mittelalterlichen Sackpfeifen gewesen sein.

Der erste Beleg für die Sackpfeife in Deutschland stammt aus dem frühen 12. Jhd. von Joannes von Affligem. Hier wird das Instrument als "musa" bezeichnet. Weitere deutsche Erwähnungen folgen in zwei Interlinearversionen der Psalme des 12. und 13. Jhd. als "suegelbalch" bzw. die "balchsuegelen".

Vom 9. bis 13. Jhd. war die Sackpfeife in ganz Euopa verbreitet, ab der zweiten Hälfte des 13. Jhd. gewöhnlich mit einem bis drei (in einigen Fällen sogar vier) Bordunen in einer gesonderten Tülle. Ab dem 13. Jhd. sind Beschreibungen und bildliche Darstellungen der Instrumente häufiger, so daß man sich heute ein recht gutes Bild der Entwicklung der Sackpfeife in dieser Zeit machen kann.

Im folgenden habe ich mir einige Arten von Sackpfeifen herausgewählt, die im deutschen Sprachraum gängig waren. Ich werde versuchen, auf historische Abbildungen jeweils eine Abbildung einer modernen Rekonstruktion folgen zu lassen. Die Bildersammlung ist noch recht spärlich, da die Rekonstruktionen bisher hauptsächlich aus meinem Besitz oder aus dem meines Freundeskreises stammt. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn Besitzer von anderen Abbildungen mir eine Kopie zukommen lassen würden, damit ich sie in diese Sammlung mit aufnehmen kann.


Mittelalterliche Sackpfeifen

Die ersten mittelalterlichen Sackpfeifen waren vermutlich mit Aufschlagzungen (Einfachrohrblätter) in zylindrischen Spielpfeifen versehen, vermutlich zuerst ohne Bordunpfeife. Bereits im 10. Jhd. waren Sackpfeifen mit zylindrisch gebohrten Doppelspielpfeifen und gemeinsamer Hornstürze in Deutschland bekannt (u.a. in einer Bamberger Handschrift erwähnt), auf denen "bordunieren" möglich war.

Tiefe Borduntöne waren erst durch die Anbringung einer getrennten Bordunpfeife möglich, dem sog. "Brummer", "Stimmer" oder umgangssprachlich einfach "Bordun". In frühen Abbildungen sind Brummer meist doppelt so lang wie die zylindrischen Spielpfeifen dargestellt. Bordune früher Instrumente dieses Typs bildeten also vermutlich die Unteroktave des tiefsten Tons der Spielpfeife und waren sicherlich, wie auch die Spielpfeifen, mit Aufschlagzungen bestückt. Erst im ausgehenden Mittelalter tauchen die teilweise ausladenden Stürzen der mit Doppelrohrblättern bestückten Spielpfeifen in deutschen Abblildungen auf (ähnlich der Sackpfeife auf dem kleinen Bild am Textanfang: M. Severinus Boetius: "De Arythmetica, de Musica", 14. Jhd.). Die konische Doppelrohrspielpfeife wurde im Zuge der Kreuzzüge als Nachfahr der arabischen zamr oder surna in Form der mittelalterlichen Schalmei in Europa eingeführt. Ab dem 13. Jhd. fand sich das Instrument als Dudelsack- Spielpfeife in Frankreich und Italien, ab dem frühen 14. Jhd. in England und schließlich ab Mitte 14. Jhd. auch in Deutschland. Der oder die Brummer blieben bei dieser Sackpfeife weiterhin zumeist zylindrisch mit Aufschlagzungen. Die Brummerstürze war trotzdem oft weit ausladend oder zumindest flaschenförmig.

Auf dem obenstehenden Photo spiele ich eine mittelalterliche Sackpfeife vom Sackpfeifenmacher Andreas Rogge aus Tübingen. Das Instrument hat eine konische Spielpfeife (Doppelrohrblatt) in g und eine (wahlweise zwei) zylindrische Bordunpfeife (Aufschlagzungen) mit leicht ausladender oder flaschenförmiger, innen birnenförmig ausgehöhlter Stürze. Es wird mit halbgeschlossener französischer Griffweise gespielt und läßt sich um eine halbe Oktave überblasen. Die Spielpfeife entspricht der eines recht modernen zentralfranzösischen Dudelsacks bzw. einem heutigen Schäferpfeifennachbau. Diese Spielpfeifen werden meist mit dem Innenkonus 1:33 gebaut. Daß die mittelalterlichen Instrumente derart technisch ausgefeilte (überblasbare, annähernd chromatische) Spielpfeifen besaßen ist höchst unwahrscheinlich, aber die Musik macht so mehr Spaß. Rechts ist das Bild einer zweibordunigen Variante dieser Sackpfeife zu sehen.

Überblasbare, chromatische, mittelalterliche Sackpfeifen mit Doppelrohrblättern in der Spielpfeife werden u.a. gebaut von: Andreas Rogge, Alban Faust, Bodo Schulz, Paul Beekhuizen

Eine geteilte Liebe verbindet mich mit den auf deutschen "Mittelaltermärkten" recht häufig zu bewundernden Mittelalterlichen Sackpfeifen mit steilem Spielpfeifenkonus. Bekannte Bands wie Corvus Corax (siehe links), In Extremo etc. bevorzugen diese Instrumente wegen ihrer durchdringenden Lautstärke und wegen ihres brachialischen Äußeren. Böse Zungen beschimpfen diese Instrumente dagegen als "Comicdudelsäcke", da ihr Äußeres mit den historischen Instrumenten ungefähr soviel Ähnlichkeit habe, wie Asterix' Kurzschwert mit einem echten Gladius. Weitere oft gehörte Kosenamen sind "Machosäcke" oder noch böser: "Ossipfeifen". Ich möchte hier nichts weiter dazu sagen, außer: die Dinger sehen aus, als könne man mit ihnen viel Spaß haben!

Tatsächlich sind die Spielpfeifen dieser Instrumente technisch dem Chanter der sehr modernen schottischen Great Highland Bagpipe angelehnt (und Schottland liegt ja nun von uns aus gesehen im Westen!). Rohrblatt und Innenbohrung stammen meist von der Highlandpipe, die Griffweise ist vereinfacht worden (offene Griffweise wie bei der "deutschen" Blockflöte). Einige Instrumente bieten durch ein zweites Daumenloch die Möglichkeit der Wahl zwischen großer und kleiner Terz, ähnlich wie bei den französischen "Cornemuses du Centre". Tonart ist meist "a", wie beim schottischen Paten.

Technisch haben diese Instrumente in den letzten Jahren gewaltig zugelegt: neue Tonarten, dem Orgelbau entnommene Bordunstimmvorrichtungen (Jens Güntzel) etc.. Musikalisch kann ich sie beim Tonumfang einer None ohne Halbtöne allerdings nach wie vor ausschließlich für einfache mittelalterliche Musik empfehlen (Stichwort "Gassenhauer").

Laute, nicht überblasbare, diatonische, mittelalterliche Sackpfeifen mit Doppelrohrblättern in der Spielpfeife werden u.a. gebaut von: Klaus Stecker, Roman Streisand, Bodo Schulz, Steffen Fischer, Friedrich Schlütter, Jürgen Ross, Jens Güntzel .

Trotzdem sich die Kombination von konischer Doppelrohr-Spielpfeife und zylindrischem Brummer schnell in ganz Europa durchsetzte (in der westlichen Welt noch heute der Inbegriff für die Sackpfeife, siehe Great Highland Pipes) wurde die Sackpfeife mit zylindrischer Aufschlagzungen- Spielpfeife speziell im deutschen Sprachraum bis in die Neuzeit hinein verwendet und weiterentwickelt.

Abgesehen vom Blasebalg, der bei mittelalterlichen Sackpfeifen bisher nicht nachgewiesen werden konnte, zeigt die unten dargestellte Pfeife von Pavel Cip aus der Tschechei viele typische Stilelemente einer mittelalterlichen Sackpfeife.

Das Instrument besitzt, wie alle Rohrblatt-Instrumente von Pavel Cip, ausschließlich Aufschlagzungen in zylindrischen Bohrungen. Es läßt sich daher nicht überblasen und ist durch die offene Griffweise auf eine diatonische Tonleiter vom Umfang einer None beschränkt. In meiner Spielpfeife habe ich für die rechte Hand ein zusätzliches Daumenloch einbringen lassen, um zumindest das Spielen eines f# zu ermöglichen.

Leider baut Pavel Cip heute keine mundgeblasenen Instrumente mehr, daher haben alle seine Instrumente den für tschechische Pfeifen typischen Blasebalg. Der sieht zwar für uns Zivilisationsmenschen sehr urig aus, ist aber meiner Meinung nach ein ziemlicher Stilbruch bei einem ansonten konsequent mittelalterlichen Instrument. Das Spielen mit dem Balg hat aber zugegebenermaßen einige Vorteile: das Instrument ist wegen der fehlenden Atemfeuchtigkeit wartungsfreundlicher und man kann beim Spielen mitsingen. Was aber Praetorius von derartigen Aktionen hielt, kann im Abschnitt über die Musette nachgelesen werden.

Mittelalterliche Sackpfeifen mit Aufschlagzungen werden u.a. gebaut von: Pavel Cip, Alban Faust

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