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Die Sackpfeife in Deutschland, Teil 4

Böhmischer Bock, Egerländer Bock, Polnischer Bock und andere

Die Bezeichnung "Bock" ist nicht unbedingt vom Tier gleichen Namens hergeleitet. Sicherlich wirken viele der als "Bock" bezeichneten Instrumente "tierisch", vor allem die mit langhaarigen Bälgen ausgestatteten Instrumente. Für andere Instrumente jedoch, z.B. für das von Praetorius beschriebene Instrument, trifft dies eigentlich nicht zu. Das Wort "Bock" hat in der Vergangenheit in den so zahlreichen Mundarten verschiedene Bedeutungen gehabt, die zur Namensgebung dieser Instrumentengruppe geführt haben könnten [4]: So wurde im 16. Jhd. ein Bordun mit dem abgebildetet "schiefen Horn" oder auch das ganze dazugehörige Instrument in Polen "Bak" genannt, was soviel wie Brummer, Drohne oder Bremse bedeutete. Die "ökonomisch- technologische Enzyklopaedie" von D. Johann Georg Krünitz (1775) bezeichnet mit "Bock" einen ledernen Schlauch (=Balg).

Letztendlich wird aber sicherlich die Verwendung eines fast vollständigen "Bockbalgs" mitsamt Haaren (und manchmal gar mit Kopf) zur Namensgebung des Instruments beigetragen haben. Warum allerdings ausgerechnet dieses Instrument mit seinen Rinder- oder Auerochsenhörnern "Bock" genannt wurde ist nicht klar. Viele andere Arten von Sackpfeifen wurden im Zuge einer barocken Kunstrichtung (oder eher höfischen Modebewegung) namens "Groteske" ebenfalls mit Bälgen oder Überzügen aus vollständigen Ziegenhäuten versehen (s. kleines Bild rechts).

Erst ab Ende des 17. Jhd. wurde der (noch heute bei vielen Bockformen übliche) geschnitzte Bockskopf manchmal als Tülle für die Spielpfeife verwendet. Ab Mitte des 18. Jhd. sind Böcke auf Abbildungen mit dem für böhmische und polnische Böcke typischen Rohrverkürzer im Bordun abgebildet. Als Balg diente meist eine Ziegen- oder Schafshaut, es sind aber auch Beschreibungen und Abbildungen von "polnischen Böcken" überliefert, für die ein kompletter Fuchs- oder gar ein kleiner Bärenbalg herhalten mußte. Hanns Friedrich von Fleming schreibt in seinem Buch "Der vollkommene Teutsche Jäger" 1719 von einem jungen Bären, der ihm 1717 im Schloßgraben ertrunken war [4]:

"Dieser Bär war von einer dicken Haut, schwartzbraunen langen Haaren, woraus ich, weil er mittelmässiger Größe, einen Dudel=Sack machen lassen, welcher nachgehends an einen gewissen Fürstlichen Hoff präsentieret worden."

Bei späteren böhmischen Böcken (bis in die heutige Zeit) ist der Balg meist aus Hundefell hergestellt, früher mit der Behaarung nach innen, später nach außen. Der Blasebalg wurde den verschiedenen Bockarten vermutlich erst im 18. Jhd. hinzugefügt, wenn auch Quellen auf frühere Verwendungen in deutschen Sackpfeifen hinweisen (aber nicht nachweislich bei Böcken). Die älteste deutsche Erwähnung des Blasebalgs für eine Sackpfeife stammt aus dem Ambraser Inventar des Jahres 1596 [2]:

"Ain sackhpfeifen, mit silber beschlagen, sambt seinem plaszbalg."

Eine weitere frühe deutsche Erwähnung des Blasebalgs macht Michael Praetorius bei seiner Beschreibung der Musette 1619. Durch die zahlreichen überlieferten Abbildungen von Böcken ist aber deutlich, daß diese Instrumente ohne Blasebalg etwa bis Mitte der dreißiger Jahre des 19. Jhd. überwiegen [7].

Die Begriffs- und Namensvielfalt ist bei Böcken meines Erachtens so verwirrend wie bei keinem anderen Sackpfeifentypus. So ist bis heute nicht klar definiert, wie z.B. ein "polnischer Bock" (der nicht unbedingt aus Polen kommen muß!) auszusehen hat, und was ihn von anderen Bocktypen unterscheiden mag. Der Begriff "Polnischer Bock" ist aber offensichtlich der älteste deutsche Begriff für Instrumente dieser Gruppe (leider aber auch, um den Begriffswirrwarr perfekt zu machen, manchmal der Begriff für "Sackpfeifen" allgemein).

Böhmische, Egerländer oder andere Böcke werden gebaut oder vertrieben u.a. von: Pavel Cip (oberstes Bild), Friedrich Schlüter, Horst Grimm, Michael Hofmann


Musette

Die Musette ist eigentlich kein deutsches Instrument, sie hat ihren Ursprung wohl in Frankreich und war vor allem in der späten Renaissance bis zum Barock und Rokoko geradezu ein Modeinstrument der höfischen Gesellschaft, vor allem in Frankreich. So ist es auch ein Franzose, Martin Mersenne, der die Musette in seiner bereits erwähnten "Harmonie universelle - content la theorie et la pratique de la musique" (Paris 1636) sehr ausführlich beschreibt. Von ihm wissen wir, daß die Musette trotz ihrer zylindrischen Bohrungen in allen Spielpfeifen ausschließlich mit Doppelrohrblättern bestückt war. Als Bordun verwendet die Musette einen mehrfach gebohrten Holzzylinder, ähnlich dem Rankett (sog. "Wurstfagott"). Doch auch Praetorius beschreibt und illustriert dieses Instrument, wenngleich ihm sein eigentlicher Name offensichtlich unbekannt war:

"Noch hat man aus Franckreich eine kleine Sackpfeiff oder Hümmelchen herausgebracht / (Col. XIII.) do man den Wind durch ein kleines Blasebälglin / allein mit einem Arm hinein bringen und regieren kan. Auch hat einer / dessen forn im 5. Kap. gedacht worden / den Sachen so weit nachgesonnen / daß er ein ganz Stimmwwerck von fünff solchen Sackpfeiffen / welche mit Blasebälgen regieret werden / verfertiget; Daruff man einen Gesang mit 4. oder 5. Stimmen zu wege bringen wollen; Aber solche Harmony laß ich mir nicht so gar sonderlich sehr wol gefallen."

Die Musette verbreitete sich aufgrund ihrer Beliebtheit sehr rasch in Europa und wurde vielerorts weiterentwickelt: mit zwei Spielpfeifen versehen, mehrfachen Bordunröhren, die einzeln ab- oder hinzugeschaltet werden können und anderem Schnickschnack. Spätestens 1695 wurde ein Musette-ähnliches Instrument auch in England bekannt, eine frühe Form der schottischen "Lowland Small Pipe"! Auf den britischen Inseln wurde das Instrument schließlich bis in die Neuzeit immer weiter entwickelt und ist uns heute in zahlreichen Nachfahren bekannt, z.B. als "Highland Small Pipe" oder "Northumbrian Small Pipe".

Musetten werden u.a. gebaut von: Paul Beekhuizen


Platerspil

Das Platerspiel als eine Abart des Dudelsacks ist seit dem 13. Jhd. in zahlreichen bildlichen Darstellungen beschrieben worden. Anstelle eines Lederbalgs dient dem Platerspiel eine Schweinsblase als Windbehälter. Das Platerspiel wurde wahrscheinlich aus dem Bestreben heraus entwickelt, leichter anfangen, und abrubter absetzen zu können, als es bei Sackpfeifen möglich ist. Dies ermöglicht dem "Platerspieler", Pausen zu realisieren. Desweiteren ist es möglich, im Gegensatz zum Dudelsack, auf diesen Instrumenten zu artikulieren, ohne daß das Prinzip des ununterbrochenen Luftstroms ganz aufgegeben wird.

In den musikalischen Möglichkeiten ähnelt das Platerspiel einer mit Zirkuläratmung gespielten Schalmei. Leider ist uns kein historisches Platerspiel erhalten geblieben, jedoch werden ähnliche Instrumente noch heute in Osteuropa (z.B. Albanien) gespielt. Auch gibt es gelungene Rekonstruktionen von Platerspielen (siehe Photo). Meinen Erfahrungen nach würde ich das Platerspiel folgendermaßen charakterisieren: ein merkwürdiges, nicht ganz leicht zu handhabendes Instrument, das sich seine Spieler selbst sucht.


Quellen:


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Last changes: 02.11.98
Thorsten.Stoye@desy.de